Verleihung des Aleksandr-Men-Preises im Jahr 2008
Ljudmila Ulitzkaja
"Russischer Beitrag zum Bau des geistigen Europas"
Artikel aus der Chronik 2009

© Akademie
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Die weltbekannte Autorin Ljudmila Ulitzkaja reiht sich mit ihrem Werk nach den Worten von Studnitz’, selbst Preisträger des Jahres 2005 und ehemals Botschafter der Bundesrepublik in Moskau, ein in die Reihe der russischen Schriftsteller des 19. und 20. Jahrhunderts „als Erbin der großen russischen Autoren Dostojewski, Tolstoj und Tschechow“. Die große Humanistin habe mit ihrem gesamten schriftstellerischen Werk der Verständigung zwischen den Völkern „einen bleibenden Dienst erwiesen“.
Von Erzpriester Men geprägt
Ljudmila Ulitzkaja wertete die Auszeichnung als „Gruß und Zustimmung von Vater Aleksandr“, den sie nach eigenen Angaben von früher Jugend an gekannt hat. Die Begegnung und Gespräche mit dem 1990 ermordeten russisch-orthodoxen Erzpriester habe ihr Leben geprägt und ihr Bewusstsein verändert: „In dieser Hinsicht bin ich ein besonders glücklicher Mensch.“ Aleksandr Men, der sich zeitlebens für die Ökumene der Kirchen engagierte, ist Namensgeber des deutsch-russischen Preises, der seit 1995 abwechselnd in Moskau und Stuttgart vergeben wird.
An dem in Russland bereits millionenfach verkauften, inzwischen auch in deutscher Übersetzung vorliegenden Roman „Daniel Stein, der Dolmetscher“, auf dessen Veröffentlichung die Verleihung der mit 2500 € dotierten Auszeichnung entscheidend beruht, hat Ljudmila Ulitzkaja dreizehn Jahre gearbeitet. Es sei ein Buch über einen „gleichzeitig demütigen und herausragenden, bescheidenen und unwahrscheinlich wagemutigen Christen, der ein ganz gewöhnliches Leben in einer provinziellen Stadt eines provinziellen Staates führte und gleichzeitig ständig mitten im Herzen der Welt war“. Wie Vater Aleksandr Men sei auch ‚Bruder Daniel’, dem die historische Gestalt des Oswald Rufeisen zugrunde liegt, ein „über jeden Zweifel erhabener Gerechter“ unter den Menschen gewesen.
Der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst, der am Festakt nicht teilnehmen konnte, ließ durch Akademiedirektor Abraham Kustermann in einer Grußbotschaft mitteilen, wie sehr er die Entscheidung des Preisgerichts für Ljudmila Ulitzkaja begrüße. Gerade weil der Roman Daniel Stein „durch und durch im Geiste von Vater Aleksandr Men geschrieben“ sei, könne er sich „keine bessere Entscheidung der Jury vorstellen“.
Ein Heiliger in den Schrecken der NS-Vernichtung
Nach den Worten des Laudators hat Ljudmila Ulitzkaja in der literarischen Figur Daniel Stein eine Gestalt gezeichnet, „die wie ein Heiliger durch die Schrecken und das Grauen der nationalsozialistischen Verfolgung und Vernichtung der Juden, Polen und Russen in den westlichen, von den Deutschen besetzten Gebieten der Sowjetunion gegangen ist“. Er selbst sei mehrfach „wie durch ein Wunder“ dreimal der physischen Vernichtung entgangen. Auf Grund seiner guten deutschen Sprachkenntnisse als Dolmetscher für die Gestapo angestellt, sei er „in der ersten Phase seines Lebens ein Dolmetscher im eigentlichen Sinne des Wortes“ gewesen: ein Vermittler zwischen zwei Seiten.
Von Studnitz erinnerte daran, dass der in Polen geborene Jude Oswald Rufeisen, der eine deutschsprachige Schule besuchte, erstmals bei polnischen Ordensschwestern, die ihn unter eigener Lebensgefahr vor den Nazis versteckten, dem Neuen Testament begegnet sei. Er habe dabei erkannt, dass das Kreuz Jesu „der Weg zu Erlösung und Auferstehung“ sei und auch „das jüdische Volk in all seinem schrecklichen Erleben trägt“. In Jesu Namen könnten sich die Menschen von Hass und Bosheit befreien. So habe er sich selbst mit Gott versöhnen können, sich katholisch taufen lassen und „das schwerste aller Gebote verwirklicht, seine Feinde zu lieben“.
Im Heiligen Land wirkte Rufeisen bis zu seinem Lebensende als Karmeliterpater „unter äußerlich bescheidensten Bedingungen“ für eine Gemeinde christlicher Araber nach dem Vorbild der Kirche des Jakobus vor der Spaltung zwischen jüdischem und christlichem Glauben, um die Kluft zwischen Judentum und Christentum überwinden zu helfen. Weil seine Lehre und Praxis „nicht mit der amtlichen Lehre übereinstimmten“, wurde er kurz vor seinem Tod seines Amtes enthoben, eine Entscheidung, die – worauf von Studnitz ausdrücklich hinwies –ihn nicht mehr lebend erreichte.
[...] (Siehe "Preise von Ljudmila Ulitzkaja")
Programm
Laudatio
Dr. Ernst-Jörg von Studnitz
Grußbotschaft
Bischof Gebhard Fürst, gehalten von Dr. Abraham P. Kustermann
Artikel über die Verleihung in der Chronik 2009
Preise von Ljudmila Ulitzkaja
Weitere Informationen über Ljudmila Ulitzkaja auf Wikipedia