Verleihung des Aleksandr-Men-Preises im Jahr 2002

Anatoli Pristawkin

"Fluch des Hinsehens – Anatoli Pristawkin erhält den Aleksandr-Men-Preis"

Stuttgarter Zeitung – Knut Krohn – 5. Dezember 2002

Anatoli Pristawkin ist keiner, der die Augen schließt, wenn Unrecht geschieht. Der russische Schriftsteller gehört zu jenen Menschen, die nicht schweigen können, wenn sie um Hilfe gebeten werden. Sein Handeln und auch sein Schreiben ist in einem inzwischen schon altmodischen Sinn zutiefst moralisch. Das macht den Menschen Pristawkin aber auch in einem hohen Grade verletzlich. "Nüchtern betrachtet ist die Geschichte der Menschheit ein ständiger teuflischer Versuch der dunklen Mächte, einen Heiligen zu kreuzigen." Diese deprimierenden Erkenntnisse eröffnete der siebzigjährige Pristawkin dem Auditorium bei der Verleihung des Aleksandr-Men-Preises am Dienstag in Stuttgart.

Über zehn Jahre lang hat er sich in der von Boris Jelzin eingerichteten Begnadigungskommission für Gewalttäter, Mörder und Räuber eingesetzt. Das sei der tägliche qualvolle Versuch gewesen, einzudringen in die Geschicke von Menschen. "Wobei nicht klar ist, wer in wen eindringt. Eher sie in uns", schreibt Pristawkin. Er würde wohl noch heute den russischen Präsidenten um das Leben von Menschen bitten, wäre das Gremium nicht von Wladimir Putin nach dessen Amtsantritt kurzerhand aufgelöst worden. Zu unangenehm, zu lästig waren die Wahrheiten, die Pristawkin und seine Mitstreiter mit einer ans Manische grenzenden Energie zu Tage förderten. Dabei geriet jedes einzelne Schicksal zum Dokument eines unwürdigen Strafvollzugs in Russland und der dazugehörigen unmenschlichen Rechtssprechung.

Auch er hätte einer dieser Verurteilten sein können, gibt Anatoli Pristawkin zu bedenken, denn auch er habe in seiner Jugend gestohlen, um nicht zu verhungern. In seinen Essays und Romanen wie "Schlief ein goldnes Wölkchen" arbeitete er diese traumatischen Erlebnisse als russisches Waisenkind künstlerisch auf. In seiner Jugend habe ihn die Literatur vor dem Absturz in die Kriminalität gerettet. "Vielleicht fing ich deswegen an zu schreiben, damit ich anderen Menschen mit einem Wort oder einem Buch helfen kann, sich vor der Gewalt und dem Bösen zu schützen", bekannte Pristawkin. Durch seinen Einsatz für die Menschenrechte, erklärte der Laudator und Übersetzer Thomas Reschke am Dienstag, stehe Pristawkin in einer Reihe mit anderen Preisträgern wie Lew Kopolew oder Michail Gorbatschow.

Programm

Begrüßung
Dr. Abraham P. Kustermann,
Akademiedirektor

Grußwort
Dr. Johannes Kreidler,
Weihbischof, Diözese Rottenburg-Stuttgart

Grußwort
Dr. Ekateria U. Genieva,
Generaldirektorin der Allrussischen Bibliothek für Ausländische Literatur, Moskau

Grußwort
Boris Chlebnikow,
Vizepräsident der Europäischen Akademie für Zivilgesellschaft, Moskau

Laudatio
Thomas Reschke,
Literatur-Übersetzer, Berlin (Übersetzer von A. I. Pristawkin)

Preisverleihung
Hermann Fünfgeld,
Stv. Vorsitzender des Kuratoriums der Akademie der Dözese Rottenburg-Stuttgart

Dankesworte
Anatoli I. Pristawkin

Bericht aus der Stuttgarter Zeitung

Bericht aus den Stuttgarter Nachrichten



Über Anatoli Pristawkin:

Lebenslauf Pristawkins

Preise und Auszeichnungen

Bibliografie

Weitere Informationen zu Anatoli I. Pristawkin auf Wikipedia


Über Thomas Reschke:

Lebenslauf Reschkes

Auszeichnungen

Wichtigste Übersetzungen