Verleihung des Aleksandr-Men-Preises 2001
Dr. Otto Graf Lambsdorff
Auszug aus der Laudatio
Dirk Sager
[...] Wir treffen uns in Moskau, weil Ihnen der AleksandrMen-Preis zugedacht ist in der Folge [...] von Michail Gorbatschow, Lew Kopelew, Tschingis Aitmatow und Gerd Ruge und anderen.
Ein Preis, der das Verdienst um die nachbarschaftlichen Beziehungen der Russen und Deutschen würdigt – „im Interesse des friedlichen und humanen Aufbaus des Europäischen Hauses“.
Ein Preis, der von deutschen und russischen Institutionen verliehen wird. Schon das macht ihn außergewöhnlich und liebenswert.
Ein Beleg dafür, dass wir uns begegnen wollen, Nähe suchen, aber nicht in der Beliebigkeit der vielbeschworenen deutsch-russischen Freundschaft, die dann nach der politischen Begegnung von Staatsmännern in der Anmerkung gipfelt, dass „die Chemie stimme“.
Der Preis ist durch seinen Namensgeber verpflichtet der Erinnerung, dem Gewissen, der Moral.
Aleksandr Men wurde im September 1990 ermordet. Wie bei vielen Morden in den folgenden Jahren wurden der oder die Täter nie gefunden, und das in einem Land, dessen offen und verdeckt arbeitenden Polizeiorgane einen Ruf zu verlieren hatten: Effektiv in der Bedrängung und Vernichtung von Gegnern bis in den letzten Zipfel der Welt, erfolgreich in der Unterdrückung der Menschen im großen Reich der Sowjetunion.
Als Aleksandr Men geboren wurde, ein Kind jüdischer Eltern, trat er in eine Welt, die vom stalinistischen Terror beherrscht wurde. Und schon seine Abstammung brachte ihn in die Rolle des gefährdeten Außenseiters. Als er Priester wurde, war die Zeit der Unterdrückung noch lange nicht zu Ende. Dem kurzen Rausch des Tauwetters folgten deprimierende Jahre neuerlicher dumpfer Repression.
Er wehrte sich gegen diese Verengung und Verfinsterung geistiger Horizonte durch wachen und kritischen Geist. Zeitgenossen beschreiben seinen ursprünglichen Hunger nach Bildung, die Lektüre von Berdjaew, Spinoza und Leibnitz. Und er gab weiter, er schrieb, er sprach und Chronisten berichten von einer großen Zuhörerschaft.
Solches Tun konnte der damaligen Obrigkeit nicht gefallen, die das Monopol des Denkens für sich beanspruchte. Und auch die kirchliche Obrigkeit nahm Anstoß. Das währt bis in die Gegenwart. Der Bischof von Jekaterinburg ließ im Mai 1998 vier Bücher von Alexander Men verbrennen.
Der Patriarch der russischen Orthodoxie sagte dem Ermordeten nach, Men sei zu Urteilen gekommen, die von der Allgemeinheit der Kirche nicht ganz geteilt werden könnten.
Er stand für das Engagement in sozialen Aufgaben, für die Arbeit in der Ökumene, für eine Lösung des spirituellen aus der Herrschaft des Hierarchischen. [...]
Wir Deutschen hatten unseren eigenen Weg zu gehen im letzten Jahrhundert. Vielleicht sind es der Schmerz über die eigenen Erfahrungen und die fürchterlichen Irrwege in der Geschichte, die uns empfindlich machen. Auch wir hatten uns weit entfernt von den angelsächsisch geprägten Ideen von Staat und Gesellschaft, nach denen der Staat ein Zusammenschluss von Menschen ist und kein Selbstzweck, dass die Regierung der Zustimmung bedarf, dass man sich ihrer entledigen muss, wenn sie diese Zustimmung verliert. Die Verfassung nicht als Mittel des Machterhaltes sondern als Schutz des Einzelnen und der Bürgergesellschaft.
Gerade weil wir uns, gestatten Sie dieses Wort an diesem Tag, versündigt haben, sind wir Nachbarn in Sorge. Eine Generation der Deutschen kam unschuldig in die Geschichte. Sie waren Kinder noch und blickten in das Gesicht des Nationalsozialismus. Sie waren Kinder noch, da zogen sie als Soldaten in den Krieg. Verletzt an Seele und Körper kamen sie zurück und machten ihren Schulabschluss bei Lehrern, die sie zuvor ganz anders traktiert hatten.
Nichts ward ihnen geschenkt, alles musste aufgebaut werden, eine demokratische Gesellschaft, die Wirtschaft, ein Staatswesen, das den Deutschen endlich ein Leben in Freiheit garantieren würde. Der Mann, den sie heute ehren wollen, hat sich diese Aufgabe in leidenschaftlicher Weise zu Eigen gemacht.
Als Bundestagsabgeordneter, als Mann des Liberalismus in Deutschland und als Wirtschaftsminister, dem ich das erste Mal begegnete bei einer Reise durch Sibirien und Aserbeidschan, zu der er führende deutsche Unternehmer und auch ein paar Journalisten mitgenommen hatte. Das war eine Reise, die Wind unter die Flügel der Wirtschaftsbeziehungen bringen sollte – und hatte auch vergnügliche Momente.
Seitdem hat sich Graf Lambsdorff immer wieder Zeit für dieses Land genommen. Wie wohl kein anderer Politiker aus Deutschland hat er das neue Russland bereist und Anteil gehabt an dem, was hier geschah. Als Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung, die hier mit Bedacht und Aufmerksamkeit wirkt, bauen Sie mit an der Brü- cke. Sie sind gereist, während andere über das gediegene Hotelfoyer nicht hinauskamen. Sie haben Politiker getroffen, nicht nur in Moskau, aber auch in Moskau. Sie gehören zu den wenigen, die in der deutschen Politik mit Autorität über Russland sprechen können. Sie haben mahnend und warnend ihre Stimme zum Krieg in Tschetschenien erhoben.
Und sie haben – das ist für mich das Größte und Schönste, was widerfahren konnte – das Schicksal der Menschen in Erinnerung gebracht, die im Deutschland der Nazizeit gequält und ausgebeutet wurden.
Keine Wiedergutmachung – sondern „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ heißt die Stiftung, die den Überlebenden jedenfalls den Beweis brachte, dass sie nicht vergessen sind. Die Sperrbank sagt, die Zahlungen seien abgeschlossen. Das kann nicht die Grundlage für Zufriedenheit sein. Aber es ist ein ungeheurer Triumph angesichts der Schwierigkeiten, die Sie überwunden haben.
Wenn ich mich heute freue zu Ihnen sprechen zu dürfen, dann besonders vor diesem Hintergrund. [...].
Es gilt das gesprochene Wort!
Programm
Begrüßung
Aleksandr Sacharow,
Generaldirektor der Moskauer Devisenbörse
Begrüßung
Ekaterina U. Geniewa,
Generaldirektorin der Allrussischen Staatlichen Bibliothek für Ausländische Literatur
Begrüßung
Abraham Peter Kustermann,
Direktor der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart
Begrüßung
Michail Men,
Vizegouverneur des Distrikts Moskau
Rede
Ernst-Jörg von Studnitz,
Botschafter der Bundesrepublik Deutschland
Rede
Ewgenij Jasin,
Wissenschaftlicher Leiter der Hochschule für Wirtschaft
Laudatio
Dirk Sager,
Leiter des Moskauer Büros des ZDF
Preisverleihung
Ekaterina U. Geniewa
Dankerede
Otto Graf Lambsdorff,
Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung
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