Verleihung des Aleksandr-Men-Preises im Jahr 1999

Gerd Ruge

Grußwort

Weihbischof Dr. Johannes Kreidler

Sehr geehrter Herr Ruge, sehr geehrte Festgäste, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Der Preis für die Ökumene der Kulturen, der heute von namhaften kulturellen Einrichtungen Deutschlands und Russlands vergeben wird, trägt den Namen des russisch-orthodoxen Erzpriesters Aleksandr Men, der 1990 auf bis heute ungeklärte Weise ermordet wurde. Den allermeisten in Deutschland ist sein Name bis auf den heutigen Tag nicht bekannt. Auch deshalb, weil seine theologischen und philosophischen Werke leider noch immer nicht in die deutsche Sprache übersetzt sind.

Wer sich allerdings mit den wenigen ins Deutsche übersetzten Beiträgen von ihm selbst und über sein Leben und Wirken befasst, der wird überrascht von der umfassenden Bildung, der weiten Intellektualität und der spirituellen Ausstrahlung seiner Persönlichkeit. Auch dem, der sich eher sporadisch einlesen kann, wird bald deutlich, dass die Träger des Preises den Namen Aleksandr Men mit Bedacht und Blick in die Zukunft ausgewählt haben.
Nur auf einige Dimensionen seiner Persönlichkeit möchte ich hinweisen, die mich beeindruckten. Sie sind zugleich für unsere heutige und zukünftige kulturelle Situation in Deutschland und Europa aus meiner Sicht von zentraler Bedeutung.

Aleksandr Men hat in seinem Leben und Wirken Spannungen verschiedener Dimensionen ausgehalten und fruchtbar gestaltet, die für viele unserer Zeitgenossen auseinandergebrochen sind. Ich meine z.B. die spannungsreiche Beziehung zwischen Religion und Wissenschaft.

Da ist zum einen der von seiner Religion tief geprägte russisch-orthodoxe Erzpriester Aleksandr Men, der in den dreißiger und vierziger Jahren in einer gläubig-orthodoxen, kirchlichen Umgebung aufwuchs. Trotz großer Nachteile blieb er seiner Berufung treu und seiner Kirche auf das Engste verbunden. Zum Tod von Aleksandr Men war im Journal des Moskauer Patriarchats 1991 zu lesen: "Aleksandr Men hatte ein tiefes Vertrauen in das geistliche Potential Russlands und der Russisch-Orthodoxen Kirche. Er betrachtete den Katholizismus wohlwollend, blieb aber immer ein treuer Sohn der Russisch-Orthodoxen Kirche, ein orthodoxer Theologe. Sein geistliches Vermächtnis ist enorm." (1/91)
Da ist zum anderen der an den Naturwissenschaften interessierte Intellektuelle. Aus einer Moskauer Ingenieurfamilie stammend, nannte Aleksandr Men einen promovierten Chemiker und Christen als einen der Menschen, die ihn am meisten beeindruckt und sein Leben geprägt hätten. So studierte er mehrere Jahre an der Biologischen Fakultät eines Moskauer Instituts, das er verlassen musste, als seine kirchliche Arbeit bekannt wurde. Das spannungsreiche Verhältnis von Bibel und Naturwissenschaft ist ihm lebenslange Herausforderung geblieben.

Vermutlich lag in diesem weit gespannten Fächer seiner Persönlichkeit die große Anziehungskraft, die von ihm ausging. Er versammelte als Geistlicher besonders in den Jahren der Perestroika eine große Gemeinde um sich. Die meisten waren junge Menschen, Künstler und Intellektuelle.

Aus der Kraft, Spannungen auszuhalten, stammt vermutlich auch seine Fähigkeit, dem Menschen ganzheitlich zu begegnen. Aleksandr Men war, so schreiben Freunde in einem Nachruf: "gleichermaßen offen für die spirituellen, intellektuellen und physischen Nöte der Menschen". Aus der gleichen Quelle seiner Persönlichkeit stammt sicher seine Gabe, unterschiedlichste Menschen zu achten und Menschen "zu helfen, kulturelle, soziale und nationale Vorurteile zu überwinden". "Liebe war die Grundtextur seines Seins" sagen Menschen, die ihn kannten, von ihm.

Von daher führt der Weg unmittelbar zu seiner Einstellung anderen Religionen und Kulturen gegenüber. Tschingis Aitmatow, der letztjährige Preisträger, hat in seiner Dankesrede dies folgendermaßen ausgedrückt. Aleksandr Men war "jene Persönlichkeit, in deren Auffassungen die strategischen Einsichten unserer Epoche ihren Ausdruck gefunden haben: die globalen Ideen der gegenseitigen Verständigung, des Zusammenwirkens und darüber hinaus einer Partnerschaft zwischen Kulturen und Religionen ... In diesem Sinne war Aleksandr Men ein geistiger Vorläufer des Universalismus und der Ökumene der Kultur- und Geisteswerte. Ich nenne ihn für mich einen Apostel der kulturellen Ökumene." - Soweit Aitmatow.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass dieser Preis für die Ökumene der Kulturen zugleich in besonderer Weise den interkulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland dienen möchte, hat für das Zusammenwachsen Europas eine Bedeutung, die wir nicht unterschätzen sollten. Gerade die notwendige Ausgestaltung der politischen Beziehungen - in der gemeinsamen Anstrengung im Kosovo, Frieden zu ermöglichen und zu gestalten, wird uns dies wieder besonders bewusst - gerade die notwendige Ausgestaltung der politischen Beziehungen kommt ohne die Vertiefung der kulturellen Beziehungen und ein wachsendes gegenseitiges Kennen und Verstehen nicht aus. Der diesjährige Preisträger, der Publizist und Journalist Gerd Ruge, hat in diesem Sinne dem interkulturellen Verständigungsprozess gerade auch zwischen Russland und Deutschland durch seine journalistische und publizistische Arbeit hervorragende Dienste geleistet. Sehr geehrter Herr Ruge, ich gratuliere Ihnen persönlich, aber auch als Bischof im Namen der Diözese Rottenburg-Stuttgart zur Verleihung des Aleksandr-Men-Preises 1999.


Es gilt das gesprochene Wort!

Programm

Bergüßung
Msgr. Dr. Gebhard Fürst
 
Grußwort
Weihbischof Dr. Johannes Kreidler,
Rottenburg-Stuttgart

Grußwort
Dr. Ekateria U. Genieva,
Moskau

Laudatio
Dr. Otto Graf Lambsdorff,
Bonn

Preisverleihung
Prof. Dr. Günter Bien,
Stuttgart

Dankesrede
Gerd Ruge,
München

Lebenslauf des Preisträgers

Veröffentlichungen von Gerd Ruge

Fernsehproduktionen

weitere Preise von Gerd Ruge

Weitere Informationen über Gerd Ruge auf Wikipedia