Verleihung des Aleksandr-Men-Preises im Jahr 1996

Lew Kopelew

Grußwort

Alexei Slovesnyi

Als Vertreter der Zeitschrift "Ausländische Literatur", die den Alexander Men-Preis "Für hervorragende Beiträge zur geistigen Annäherung der Völker" mitbegründet hat, empfinde ich besondere Gefühle der Betroffenheit, weil ich nämlich Augen- und Ohrenzeuge dafür bin, wie das private und schöpferische Leben unseres verehrten Preisträgers mit dem Leben der Zeitschrift verbunden war.

Ich erinnere mich sehr wohl, wie vor 40 Jahren in unserer Redaktion zum ersten Mal Lew Kopelew erschienen ist. Und dass ich mich noch daran erinnere, ist nicht merkwürdig. Es war die Zeit des sogenannten "Tauwetters". Wir alle waren damals stark vom Vortrag Chruschtschows auf dem 20. Parteitag 1956 über den Persönlichkeitskult beeindruckt. Und denjenigen, die aus den stalinistischen Lagern zurückkamen, brachten wir erhöhtes Interesse und Aufmerksamkeit entgegen. Sie waren für uns wie Gestalten aus dem Jenseits, wie Helden und Märtyrer. Ebensoeiner war für mich Lew Kopelew, als er nach seiner Rückkehr nach Moskau in die Redaktion zur damaligen Koryphäe der Germanistik, Nikolaj Wilmont, kam. Einige Mitarbeiter und ich, die zusammen mit Nikolaj Wilmont in einem Zimmer saßen, waren Zeugen dieser Begegnung.

Man muss hier noch ein Treffen erwähnen. Unter den Mitarbeitern der Zeitschrift in diesem Zimmer war auch Raisa Orlowa, und mir scheint, dass die erste Bekanntschaft von Lew Kopelew mit Raisa Orlowa, seiner [späteren] Gefährtin und Mitkämpferin, gerade damals stattgefunden hat. Raisa Orlowa war eine Mitbegründerin der Zeitschrift "Ausländische Literatur" und arbeitete in ihr über viele Jahre hinweg. Sie hat sich sehr viel Mühe gegeben, um unseren Lesern die größten Schriftsteller der Welt nahe zu bringen.

1956 erschien auf den Seiten der Zeitschrift ein Artikel von Lew Kopelew über das Buch von Leonhard Frank "Links, wo das Herz ist". Und dieser Artikel war, wenn ich mich nicht täusche, die erste Publikation nach seiner vieljährigen Abwesenheit. Nachher folgen Artikel über Rilke, Büchner, Brecht.Lew Kopelew nahm überaus aktiv am Leben der Redaktion teil, aber ... 1968 verschwand sein Name von der Seiten der Zeitschrift - in der Sowjetunion begann der Kampf gegen die Andersdenkenden. Man muss hier den Mannesmut Lew Kopelews würdigen, der nicht vom Hörensagen über den Totalitarismus urteilte, und dennoch als Ritter ohne Furcht und Tadel seine Stimme gegen die Ungerechtigkeit erhoben hat. Wie das geendet hat, wissen wir recht gut.

Erst nach 20 Jahren, in der Dezembernummer der Zeitschrift "Ausländische Literatur" des Jahres 1988, erschien der Artikel Lew Kopelews über Heinrich Böll. Das war wiederum seine erste Publikation in der russischen Presse nach dem langen Schweigen. Ich erinnere mich, mit welcher inneren Erregung ich in Köln angerufen habe und diesen Artikel bestellt habe. Und jetzt ist Lew Sinowjewitsch Mitglied des Redaktionsrates der Zeitschrift, unser begehrter Autor und Berater, der einen Beitrag für die Sache der kulturellen Annäherung des russischen und des deutschen Volkes geleistet hat.

Dem gleichen Ziel dient auch die Serie "Widerschein des Westens, und des Ostens", deren Initiator der heute Gefeierte ist, und seine hingebungsvolle Arbeit an dem Wuppertaler Projekt zur Erforschung der russisch-deutschen Beziehungen. Die Grundlage des Erfolges Lew Kopelews und seiner deutschen Kollegen besteht nach unserer Meinung darin, daß sie Antworten auf entstehende Fragen gesucht haben weniger im Hinblick auf die Beziehungen zwischen den Staaten, als viel mehr im Hinblick auf die Gedanken und Gefühle der einfacher Leute. Diese Idee steht nah auch der Zeitschrift "Ausländische Literatur", die seit den ersten Tagen ihres Bestehens bestrebt war, ihre Leser aufzuklären, was der Sache des gegenseitigen Verständnisses hilft. Und das war nicht immer leicht und einfach, und ist jetzt auch nicht immer leicht und einfach.
Nun wird wohl verständlich, warum ich besondere Gefühle empfinde, wenn ich über Lew Kopelew spreche. Ich bin glücklich, ihn im Namen seiner Heimatsredaktion "Ausländische Literatur" zu beglückwünschen, und im Namen aller Menschen in Russland, denen die geistige Annäherung der Völker nicht gleichgültig ist.


Es gilt das gesprochene Wort!

Programm

Grußwort
Roman Herzog,
Bundespräsident

Grußwort
Ekateria U. Genieva,
Moskau

Grußwort
Alexei Slovesnyi,
Moskau

Laudatio
Fritz Pleitgen,
Köln

Preisverleihung
Prof. Dr. Günter Bien,
Stuttgart

Dankesworte
Lew Kopelew

Artikel Südwest Presse

Biografie des Preisträgers

Buchpublikationen in der BRD

Weitere Informationen über Lew Kopelew auf Wikipedia