Verliehung des Aleksandr-Men-Preises im Jahr 1996

Lew Kopelew

"Für Kopelew endlich eine gute Nachricht"

Südwest Presse – Elmar Reinauer – 2. Juli 1996

Der russische Schriftsteller begrüßt die Entlassung der "Kriegspartei" aus dem Kreml

Der 84jährige russische Schriftsteller Lew Kopelew, seit seiner Ausbürgerung 1981 in Deutschland zuhause, spricht nur leise. Doch plötzlich wird er wieder ganz wach. In letzter Zeit habe er endlich einmal etwas Gutes aus seiner Heimat gehört. Nämlich, daß Präsident Boris Jelzin den Chef der Kreml-Garde und engen Vertrauten, General Korschakow, den Geheimdienstchef Barsukow und den Ministerpräsidenten Soskovets endlich gefeuert hat.

 

Das Trio galt in Moskau als "Kriegspartei". Ihen wurde der Vorwurf gemacht, Jelzin weniger zu dienen, als ihn zu manipulieren. Daß diese "dunklen Gestalten" ihre Macht verloren haben, lasse ihn für die Zukunft Rußlands wieder hoffen, meint Kopelew und rät doch gleich wieder, vorsichtig zu sein. Zumal niemand richtig sagen könne, was der neben Jelzin neue starke Mann im Kreml, Ex-General Alexander Lebed, wolle und was von ihm zu erwarten sei.

Nach Kopelews Ansicht ist der Sicherheitsberater des Präsidenten ein ,,Kommißkopf" mit Charisma. Aber immerhin habe er kein Blut an den Händen wie seine Vorgänger, sagt Kopelew unter Anspielung auf den Tschetschenien-Krieg, den die drei Entlassenen maßgeblich mitzuverantworten haben.

Aber um Personen allein geht es Kopelew nicht bei seinen Antworten zur Lage in Rußland. Viel wichtiger ist ihm, daß die dort herrschende Ideologie aus Chauvinismus und Nationalismus durchbrachen wird - vor allem, wie er sagt, durch Aufklärung. Und damit kommt er auf den eigentlichen Grund seines Besuches bei der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart zurück. Ihm wurde gestern in Anwesenheit von Bundespräsident Roman Herzog der Alexandr-Men-Preis verliehen, mit dem Personen ausgezeichnet werden, die sich um die "interkulturelle Vermittlung zwischen Rußland und Deutschland im Interesse des friedlichen und humanen Aufbaus des Europäischen Hauses verdient gemacht" haben.

Benannt ist der Preis nach dem orthodoxen Priester Men, den schon Jahre vor dem amerikanischen Professor Samuel P. Huntington die Sorge umgetrieben hatte, daß die verschiedenen, in unserer Welt sich immer näher rückenden Kulturen einander feindlich gegenüberstehen könnten. Men hatte sich deshalb für eine "Ökumene der Kulturschaffenden" eingesetzt. Er kämpfte zuhause gegen Chauvinismus und Nationalismus und wurde im September 1990 unter bisher ungeklärten Umständen ermordet- auch wenn es kein Geheimnis ist, daß er Nationalisten und Antisemiten im eigenen Land verhaßt war. Aufklärung für Rußland (und umgekehrt für Deutschland, wo Men, wie selbst Bundespräsident Herzog gestern nachmittag einräumte, ein unbekannter Narrte ist), da setzt Kopelew vor allem auf die engen kulturellen deutsch-russischen Beziehungen, die schon Jahrhunderte ungeachtet aller politischen Krisen Bestand gehabt hätten. Beide Völker, sagt Kopelew, der Freund Heinrich Bölls, seien "wahlverwandt". Und was macht Aufklärung aus? Kopelew hält ein Plädoyer für den Austausch – von Gedanken, Briefen, Büchern, Studenten, Wissenschaftlern, Schriftstellern.

Die Russen blieben, egal wie die Lage sei, 'immer empfindsam für Reaktionen aus dem Westen, meint in anderem Zusammenhang auch der frühere Vorsitzende der Menschenrechtskornmission beim russischen Präsidenten und in der Staatsduma, Sergej Kowaljow, der gestern mit in Stuttgart war. Kowaljow, der nach heftiger Kritik an Jelzin wegen des Tschetschenien-Kriegs zurückgetreten war, wird allerdings konkreter: Immer wieder hält er der Bundesregierung vor, daß sie, zumindest offiziell, nicht gegen das russische Vorgehen im Kaukasus protestiert habe, daß sie vor lauter Angst, Kommunistenchef Gennadi Sjuganow könne die Präsidentschaftswahl in Rußland gewinnen, auf jede Kritik an Jelzin verzichtet habe. Jelzin habe sich in diesem Krieg mit Blut befleckt, und allzu tolerante westliche Politiker müßten mindestens einige Blutspritzer an ihren Händen haben, klagt Kowaljow. Am Rande des Treffens in der Akademie in Stuttgart-Hohenheim berichtet er, daß die angeblich nach Unabhängigkeit strebenden Tschetschenen in allen politischen Bereichen, die zählen, mit den Moskauer Vorstellungen auf einer Linie gelegen hätten. Ihr Souveränitätsanspruch hätte sich, so der sichtlich enttäuschte Menschenrechtler, am Schluß darauf reduziert, in der Flagge des Landes "einen schwarzen Wolf statt eines Bären" führen zu dürfen.

Der Politiker Kowaljow ist auch, anders als der Literat Kopelew, weitaus skeptischer hinsichtlich der Entwicklung in Rußland. Zwar begrüßt auch er die Entlassung der "Dunkelmänner" aus dem Kreml. Aber Lebed traut er nicht über den Weg, weil dieser heute oft das Gegenteil von dem forderte, was er gestern gesagt habe. Und Kowaljow hat auch Bedenken, wie die Personalpolitik im Kreml funktioniert. Nämlich ohne jede "demokratische Mechanismen'', nicht unähnlich der Entscheidung, die zum Tschetschenien-Krieg führte. Sie fiel, wie Kowaljow im März bei einer Rede in München kritisierte, in einem "illegitimen Organ", dem Sicherheitsrat, in einer geheimen Sitzung aufgrund geheimer und möglicherweise gefälschter Unterlagen. "Die demokratischen Grundsätze der Öffentlichkeit der Regierungsarbeit, der Transparenz der Regierungsentscheidungen wurden beiseite geschoben."

Entsprechend skeptisch ist Kowaljow über die Zukunft des Reformkurses in Rußland. Von Jelzin erwartet er nicht viel. Daß zwei Helfer des Wahlkampfleiters im Kreml, Anatoli Tschubais, mit einer halben Million Dollar in der Tasche gefaßt wurden, entspreche der Art, wie die alte sowjetische Nomenklatura Geschäfte betrieben habe. "70 Jahre haben uns geprägt", meint er leicht resignierend. Wirkliche demokratische Verhältnisse in Rußland könnten sich wohl nur über eine starke demokratische Opposition entwickeln und wenn sich im Lande einmal eine echte bürgerliche Gesellschaft entwickelt habe. Von beidem sieht Kowaljow sein Land aber noch weit entfernt.

Programm

Grußwort
Roman Herzog,
Bundespräsident

Grußwort
Ekateria U. Genieva,
Moskau

Grußwort
Alexei Slovesnyi,
Moskau

Laudatio
Fritz Pleitgen,
Köln

Preisverleihung
Prof. Dr. Günter Bien,
Stuttgart

Dankesworte
Lew Kopelew

Artikel Südwest Presse

Biografie des Preisträgers

Buchpublikationen in der BRD

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