Verleihung des Aleksandr-Men-Preises im Jahr 1995

Kathinka Dittrich van Weringh

Begrüßung

Akademiedirektor Dr. Gebhard Fürst

Der Aleksandr-Men'-Preis und seine erste Preisträgerin Dr. Kathinka Dittrich van Weringh

Es ist einem glücklichen Umstand zu verdanken, dass wir die Verleihung des Aleksandr-Men'-Preises in Anwesenheit von 15 Journalisten und Vertretern wichtiger Medien aus Russland vornehmen können. Wir begrüßen unsere Gäste aus Russland bei diesem Fest mit besonderer Herzlichkeit. Seit vergangenem Sonntag findet das von der Akademie organisierte Symposium statt, das den Titel trägt: "Markt und publizistisches Anliegen – ein Widerspruch?" – Bis heute morgen waren unsere Gäste in Stuttgart, wo wir gemeinsam Redaktionen der Stuttgarter Zeitung, den Lehrstuhl für Publizistik und Medienarbeit an der Universität Hohenheim und den SDR – Hörfunk und Fernsehen – besuchen und zahlreiche Gespräche führen konnten: U. a. mit dem Intendanten des SDR. Gestern Abend gab Bischof Dr. Walter Kasper einen Empfang in Stuttgart, bei dem wir intensive Gespräche über "Religion, Glaube und Kirche in der pluralen Gesellschaft" der beiden Völker führen konnten. In den kommenden Tagen werden die Teilnehmer die Presse- und Medienlandschaft im Bodenseeraum, auch im nahen deutschsprachigen Ausland, kennen lernen.

Dieses Symposium ist nur möglich geworden aufgrund zahlreicher Kontakte, die sich langsam aber stetig entwickelt haben. Insbesondere möchte ich hier Elena Lermann und Boris Chlebnikow aus Moskau erwähnen. Wir dürfen sie seit vielen Jahren zu persönlichen Freunden der Akademie zählen. Beide sind heute anwesend. Begonnen hat diese Beziehung und Freundschaft im Jahr 1991 mit einem großen Symposion, das die Akademie mit Schriftstellern aus allen Teilen der ehemaligen Sowjetunion damals durchgeführt hat (vgl. Jahreschronik 1991). Seither haben sich viele Kontakte, wechselseitige Besuche und Aktivitäten ergeben. Aus diesen Begegnungen ist die Idee entstanden, zugunsten der deutsch-russischen Kulturbegegnung im Interesse der Völkerverständigung den Preis zu stiften, der heute zum ersten Mal vergeben wird.

Beim damaligen Schriftsteller-Symposion war hier in diesem Raum neben z. B. Tschingis Aitmatow, Valentin Granin, Herrn Sidorow. dem heutigen Kultusminister von Russland, und vielen anderen als Teilnehmer, auch der russisch-orthodoxe Erzpriester Aleksandr Men' zu Gast. Vater Aleksandr Men' plante damals in Moskau ein ökumenisches Bibelinstitut und bat mich, ihm entsprechende Kontakte zu ermöglichen. Gemeinsam besuchten wir das Katholische Bibelwerk und die Evangelische Bibelanstalt in Stuttgart. Während der gemeinsamen Fahrt konnte ich die beeindruckende Persönlichkeit, die ebenso umfassende wie weltoffene Bildung von Aleksandr Men' kennenlernen. Wir konnten uns ausführlich über die Situation der Kirche und der Gesellschaften unserer beider Länder und auch über philosophische und theologische Fragestellungen unterhalten. Er kannte sich in ganz außergewöhnlicher Weise aus in der katholischen und evangelischen Theologie. Ich war tief beeindruckt von seiner hohen Intelligenz und seiner tiefen Spiritualität und seinem Anliegen, Menschen zusammenzuführen. Seine Augen begannen zu leuchten, als er dutzende von Bibelausgaben in vielen Sprachen der Weit im Bibelhaus in Stuttgart sah. Erste Gespräche wurden geführt, und beide Bibelgesellschaften sagten ihre Unterstützung zu, um mitzuhelfen, in Moskau ein ökumenisches Bibelinstitut zu gründen. Inzwischen ist dies geschehen, aber nicht mehr mit Aleksandr Men·. Einige Wochen nach seinem Aufenthalt bei uns hierin Deutschland und seiner Heimkehr nach Russland wurde er ermordet. Seine Mörder sind bis heute nicht bekannt. Der Preis, den wir stiften, trägt seinen Namen.

Bei einer gemeinsamen Reise mit Herrn Akademiereferent Rainer Öhlschläger waren wir zu Gast bei Frau Dr. Kathinka Dittrich in Moskau. Wir bekamen an diesem Abend einen ersten Eindruck der großartigen Aktivitäten von Frau Dittrich im Interesse der Kulturbegegnung von Russland und Deutschland. Nur einige Gründe möchte ich nennen, warum die Preisjury Frau Dr. Dittrich den Preis zuerkennt.

Frau Dr. Dittrich gründete 1991 das Goethe-Institut in Moskau und war bis 1994 seine Direktorin. Allein diese Tatsache genügt für die Verleihung des Aleksandr-Men'-Preises für die Annäherungen der Kulturen. Die mannigfaltige Tätigkeit des Goethe-Instituts zu Moskau in dieser Zeit ist weit bekannt. Frau Genieva, die Direktorin der Allrussischen Bibliothek für ausländische Literatur, schreibt in der Begründung zur Nominierung von Frau Dittrich: „Frau Dr. Dittrich leitete diese Tätigkeit nicht nur als Direktorin des Goethe-Instituts, sondern als eine Person, die diese Arbeit als ihre eigene Sache ansah und die ihre Seele und ihr Herz, ihre Kräfte und ihre Nerven und ihre Zeit hingab." Frau Genieva schreibt weiter: "Die Allrussische Staatliche Bibliothek für ausländische Literatur hatte die große Ehre, als ständiger Partner des Goethe-Instituts seit seiner Gründung aufzutreten. Die Zusammenarbeit hat uns die Möglichkeit gegeben, die Arbeit des Goethe-Instituts „von innen" zu sehen und damit auch den richtigen geistigen Umfang seiner Tätigkeit einzuschätzen. Diese Tätigkeit explorierte gegenseitige Stereotype und Vorurteile, die bis jetzt im Bewusstsein unserer Völker existieren. Das Goethe-Institut löste mit allen möglichen zugänglichen Mitteln die komplizierte Aufgabe der kulturellen Annäherung der Deutschen und Russen, indem es dank des Scharfsinns, der Unermüdlichkeit und dank des persönlichen Charmes von Frau Kathinka Dittrich van Weringh von Anfang an zum Ort des kulturellen Zusammenwirkens der Völker Deutschlands und Russlands wurde."

Die Stiftung des Preises und die Preisverleihung heute sind der Höhepunkt freundschaftlicher Kontakte zu Russland. Begonnen hat alles vor vielen Jahren. Ich erinnere an die Tagungen von 1986 und 1988 zusammen mit dem Moskauer Patriarchat mit Patriarch Pitirim und dann Patriarch Melchisedek aus Anlass der Milleniumfeierlichkeiten der Kiever Rus. Es waren dies die ersten Veranstaltungen mit der russisch-orthodoxen Kirche, die hier im Westen möglich waren. Die Verbindungen. die Herr Öhlschläger, der Leiter unseres Weingartener Tagungshauses der Akademie, als ehemaliger Vizepräsident von Pax Christi in die Akademiearbeit einbringen konnte, haben hier zum Zustandekommen dieser Pionier-Veranstaltungen wesentlich beigetragen. 1988 hat der Publizist und Schriftsteller Friedrich Hitzer an der oben genannten Tagung teilgenommen. Er hat die ersten Kontakte zwischen Herrn Chlebnikow und der Akademie initiiert. Eine besondere Art dieser Kontakte, die wir knüpfen konnten, besteht inzwischen zwischen einem Heim für behinderte Kinder in Moskau, einem Modellprojekt für ganz Russland, und der Stiftung Liebenau, die Ihnen ja nicht unbekannt ist. Gegenseitige Besuche zusammen mit Herrn Msgr. Huber von der Stiftung Liebenau haben zu sehr fruchtbaren gemeinsamen Aktivitäten geführt. Meine Damen und Herren, Sie sehen, wie vielfältig und freundschaftlich inzwischen die Beziehungen der Akademie zu Russland sind, und ich könnte noch vieles erzählen, was leider hier aus zeitlichen Gründen nicht möglich ist.

Solche Beziehungen stehen auf vielen Beinen. Ich möchte allen denen danken, die diese freundschaftliche Partnerschaft unterstützen und sich für sie einsetzen: sei es auf russischer Seite, auf deutscher Seite, auf Seiten der Akademie, meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die bereits genannten und die ungenannten.

Nicht zuletzt möchte ich Herrn Häussler, einem Unternehmer aus Stuttgart, danken, der großzügiger Weise das mit dem Preis verbundene Preisgeld von 5.000 DM gestiftet und so die Preisvergabe ermöglicht hat.

Ich wünsche uns nun eine gute Stunde. Sie wird der gegenseitigen Verständigung zweier Völker dienlich sein, die keine einfache Geschichte miteinander haben. Erst wenn Freundschaft zwischen Menschen aus unseren Völkern möglich und wirklich wird, dann können auch die Beziehungen zwischen den Staaten und Völkern auf verschiedenen Ebenen möglich und wirklich werden. Wie wichtig diese Beziehungen sind, die Begegnung und Verständigung erst ermöglichen, erfahren wir dort, wo sie fehlen, besonders schmerzlich. Aus diesen negativen Erfahrungen, die wir gegenwärtig in Europa auch machen müssen, dass Menschen sich nicht verstehen, sondern besiegen wollen und sich gegenseitig töten, wächst der Blick für das, was wir heute miteinander feiern und wofür ich sehr dankbar bin und wir alle uns darüber freuen können.


Es gilt das gesprochene Wort!

 

Programm

Begrüßung
Dr. Gebhard Fürst,
Direktor der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart

"Der schwere Weg zum Dialog" - Rede
Boris Chlebnikow,
Verleger, Moskau

Laudatio
Dr. Vladimir Skorodenko,
Bibliothek für Ausländische Literatur, Moskau


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