Anders wirtschaften, gut leben

Neue Töne aus Südamerika: Der Ökonom und ecuadorianische Politiker Alberto Acosta sowie Grupo Sal bringen im Tagungshaus Weingarten den Menschen Buen Vivir, das gute Leben, nahe.

„Noch nie waren die Menschen so reich, warum sind dennoch so viele nicht glücklich?“, fragt Alberto Acosta.  „Noch nie hatte die Menschheit so viele Möglichkeiten. Doch die Welt sieht düster aus“, konstatiert der 69-jährige. „Jedes Jahr wird Nahrung für zehn bis elf Milliarden Menschen produziert - mehr als genügend für die knapp siebeneinhalb  Milliarden Bewohner der Erde – und trotzdem hungern mindestens 800 Millionen Menschen weltweit“, listet der Wirtschaftswissenschaftler und Politiker die globalen Widersprüche auf, dabei habe schon 1949 der amerikanische Präsident Harry Truman erklärt, „wir haben jetzt die Mittel und die Macht, um die Not der armen Menschen zu überwinden.“ Acosta – ein in Deutschland ausgebildeter Wirtschaftswissenschaftler, ehemaliger Minister und Präsident der Verfassungsgebenden Versammlung Ecuadors gilt als einer der führenden Intellektuellen Südamerikas und fragt besorgt angesichts von Erscheinungen wie US-Präsident Trump, Brexit oder der Krise um Katalonien: „wie wird wohl die Welt unserer Kinder aussehen?“ Es gebe Länder und Leute, die gut lebten, weil es anderen schlecht gehe, kritisiert er die Ausbeutung von Menschen und Natur. Die Angebote der Regierungen lösten die Probleme nicht, im Gegenteil. Die Vermarktung der Natur vergrößere die Ungerechtigkeiten und die ökologische Krise. „Auch die Deutschen leben über ihre ökologischen Verhältnisse“, rügt Acosta. 

Gemeinschaft, Verbundenheit mit der Natur und Spiritualität

Doch Alberto Acosta ist nicht nur Kritiker, sondern vor allem  Visionär: Buen Vivir lautet seine Alternative  - das gute Leben. Buen Vivir biete eine Menge Möglichkeiten, die Welt besser zu gestalten. Wobei Acosta Buen Vivir nicht verstanden wissen will als Theorie, Konzept oder eine Betriebsanleitung, sondern es sind  Werte, Erfahrungen und Praktiken, die bei indigenen Völkern seit Jahrhunderten verankert sind. Acosta arbeitet drei Begriffe heraus: Gemeinschaft, Verbundenheit mit der Natur und Spiritualität. Der Mensch gehöre in Gemeinschaft, sagt Acosta – wobei dies nicht in Gegensatz zur Individualität stehe, die auf jeden Fall gewahrt werden müsse. Aber es gehe um Gemeinsinn, um gemeinschaftliches Arbeiten füreinander – eine Praxis, die die Menschen ins Gleichgewicht bringe.  Ein Leben in Harmonie in und mit der Natur gehört für Acosta gleichfalls dazu. Solche Gedanken sind nicht nur den indigenen Völkern Südamerikas aus dem Andengebiet und dem Amazonasbecken vertraut – und inzwischen in den Verfassungen von Ecuador und Bolivien verankert - , sondern sie werden ganz ähnlich in bestimmten Regionen Indiens gelebt, sie finden sich auch in Afrika. Für Acosta ist dies die „Universalisierung der Ideen.“

Acosta ist ein beredter Fürsprecher einer „Entmarktung der Natur“.  Wasser etwa dürfe nicht privatisiert werden, sondern müsse von der Gemeinschaft kontrolliert werden. Statt „immer mehr“ zu fordern und Wachstum in das Zentrum des Wirtschaftens zu stellen, plädiert Acosta für Mäßigung. Dabei gehe es nicht um eine romantische Betrachtungsweise oder rückwärtsgewandtes Denken. Die Enzyklika „laudato si“ von Papst Franziskus lobt er ausdrücklich als einen „guten Schritt für die Rechte der Erde und die Rechte der Armen“.  Der Ökonom lässt keinen Zweifel daran: „Wir müssen den Kapitalismus abschaffen“ – jedoch ohne revolutionären Impetus: „Wir müssen nicht mehr die Paläste stürmen, um die Welt zu verändern, sondern die Politik von unten ändern.“ 

Musik gehört zum guten Leben

Im deutschsprachigen Raum versucht dies beispielsweise die Gemeinwohl-Ökonomie , welche Teil einer weltweiten Graswurzel-Bewegung ist. Auch regionales Wirtschaften gehört dazu, eine solidarische Landwirtschaft, die Abschaffung der Steuerparadiese, die gut gedeihen mit Geld aus Korruption, Menschen- und Waffenhandel.  Der Reichtum müsse geteilt werden; dass gerade mal acht Männer so reich seien wie die Hälfte der Menschheit schreie förmlich nach Umverteilung. Und Deutschland solle sich ein Beispiel nehmen an der eigenen Vergangenheit. Der Marshall-Plan habe dem Land nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf die Beine geholfen; jetzt sei es an der Zeit, dies anderen armen Ländern zurück zu geben.

Doch Buen Vivir ist nicht nur in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht ein anderes Leben – es ist auch ein Leben mit allen Sinnen. Musik darf dabei nicht fehlen. Bei der Veranstaltung in Weingarten belegte dies die sechsköpfige Grupo Sal eindrucksvoll. Ihre Musik aus Lateinamerika – ob Salsa-Rhythmus oder andine Klänge– vermittelte gekonnt die Lebensfreude, die nicht fehlen darf beim Buen Vivir:  Viel Beifall  der zahlreichen Gäste aller Altersgruppen für die neuen Töne aus Südamerika. (Barbara Thurner-Fromm)

Der Ökonom und Politiker Alberto Acosta fordert eine neue Wirtschaftsordnung und mehr Gemeinsinn.

Grupo Sal sorgte mit Ihrer südamerikanischen Musik für gute Laune.