Von der Reformbewegung zum Terror

Salafismus ist nicht gleichbedeutend mit islamistischem Terror. Aber der Weg vieler jungen Leute vom Fundalismus zur Gewalt ist nicht weit - und die Umkehr schwieirig.

Seit dem fürchterlichen Terroranschlag vom 11. September 2001 in New York beschäftigt sich die Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart mit dem Thema Islam. Seit 2006 gibt es dazu Projekte und die Tagungsreihe „Gesellschaft gemeinsam gestalten“. Der langjährige Dialog auf Augenhöhe mit Partnern der Islamischen Community dokumentiert den hohen Stellenwert, den die Akademie dem Thema beimisst. Sie hat sich dabei aber auch eine hohe Qualifikation erworben, die inzwischen bundesweit anerkannt wird. Daran hat  die Direktorin der Akademie, Dr. Verena Wodtke-Werner, zum Auftakt zweier Veranstaltungen im Tagungshaus Weigarten zum Thema „Salafismus in Deutschland“ erinnert. Im Mittelpunkt des öffentlichen Vortrags und einer Tagung standen die Forschungsergebnisse von Nina Käsehage. Die 1978 geborene Historikerin und Religionswissenschaftlerin hat an der Universität Göttingen im Fachbereich Religionswissenschaft über die salafistische Szene in Deutschland, Europa und der Türkei promoviert. Dafür hat sie 175 Interviews mit Akteuren und Akteurinnen sowie mit namhaften Predigern geführt. Käsehage ist darüber hinaus auch ehrenamtlich im Bereich Prävention und De-Radikalisierung von jungen Salafisten tätig.

 

Wurzeln des Salafismus reichen ins 19. Jahrhundert zurück

Jens Ostwaldt vom Demokratiezentrum Baden-Württemberg – ebenso wie das Landeskriminalamt und Inside Out Kooperationspartner der Akademie –, verwies auf die Wurzeln des Salafismus im 19. Jahrhundert, der damals als Reformbewegung dem Islam zu neuen Kräften verhelfen sollte, indem er theologische Strukturen aufbrechen wollte. Die Salafisten haben sich seinerzeit auf das nur drei Generationen umfassende enge Umfeld des Propheten berufen und eine strenge Auslegung des Korans gefordert. Gleichzeitig betonten sie aber auch eine Vereinbarkeit von Islam und Moderne und strebten im Bildungsbereich Modernisierungsprozesse an.  Heute sei der Salafismus jedoch nicht nur religiös fundamentalistisch, sondern er fordere darüber hinaus einen antimodernistisch und antiwestlichen Lebensstil. Als Beispiel nannte Ostwaldt Nike-Turnschuhe, die bei jungen Leuten sehr beliebt sind,  von Salafisten aber mit den Begriffen „Shirk“ und „Kufr“ belegt werden. Wer solche Schuhe trage, leiste „Götzendienst“ und verfalle „dem Unglauben“. Die Salafisten sprechen also allen, die diese Schuhe tragen, nicht nur ihren Glauben ab, sondern maßten sich zugleich ein göttliches Urteil an.


Ein zentrales Element des Salafismus sei Loyalität. Die Salafisten bildeten eine eigene Ethnie; je mehr Anfeindungen sie sich ausgesetzt sehen, um so mehr zählt die Zugehörigkeit zur Gruppe. Damit gebe es gefährliche Wechselwirkungen mit dem Rechtspopulismus. Wie gefährlich das ist, machte Ostwaldt mit der Aussage deutlich: „weit über 90 Prozent aller Terroristen sind über Salafismus radikalisiert worden.“  Gleichwohl sei der Umkehrschluss falsch, dass alle Salafisten Terroristen seien; die Strömung müsse differenziert betrachtet werden.  Es werden drei Gruppen unterschieden: In Deutschland gibt es nach Angaben des Verfassungsschutzes 14 000 bis 40 000  „puristische“ Salafisten – religiöse Fundamentalisten, die aber nicht gewaltbereit seien. Daneben gebe es gut 10 000 „politische“ Salafisten, davon etwa 620 in Baden-Württemberg, die die moderne westliche Demokratie ablehnen. Dies ist die am schnellsten wachsende Gruppe unter den Salafisten, die jedoch größtenteils ihre Ziele legalistisch umsetzen und Gewalt ablehnen. Bundesweit knapp 700 „dschihadistische“ Salafisten gelten als „Gefährder“, die auch bereit sind, mit Gewalt für ihre Ziele zu kämpfen.

 

Salafisten leben in einer Prallelwelt

Angesicht der rund viereinhalb Millionen Muslime, die in Deutschland leben, erscheinen die Zahlen relativ gering. Doch die Salafisten lebten vielfach in einer ganz eigenen Welt, erläuterte Jens Ostwaldt. Nina Käsehage berichtete, es sei sehr schwierig, Kontakte zu ihnen zu bekommen. Ihre Interviews bauten teileweise auf ihre Forschung mit Konvertiten auf, über ihre früheren Kontakte sei sie auch an Prediger wie Sven Lau und Pierre Vogel herangekommen. Allerdings berichtete Käsehage auch von eigenen Gewalterfahrungen bei ihren Forschungen in Frankreich und Belgien, von etlichen mulmigen Situationen und „Gewalteinstellungen, die einen frieren lassen“.


Doch was treibt junge Leute in die Szene? Nina Käsehage nennt mehrere Motive: Da sei zum einen die berufliche Perspektivlosigkeit. Junge, meist schlecht ausgebildete Männer fühlten sich wertlos, Salafismus als „soziale Mitmachbewegung“ sei da Teil einer vermeintlichen Zukunftsperspektive. Bei Mädchen spiele häufig enttäuschte Liebe eine Rolle und das Gefühl, in den Eltern keinen Ansprechpartner zu haben. Käsehage sagte, es gebe beim Salafismus  „ähnliche Trigger“, mit denen junge Menschen angeworben würden wie bei organisierter Kriminalität. Dschihadisten nennen sich selber „Löwen“. Das habe etwas Heldenhaftes, führte Käsehage aus. „Du stehst unter meinem Schutz“ bedeute nicht nur Gemeinschaft, „junge Mädchen fühlen sich damit umarmt, die bisherige Realität verschwindet, eine neue Realität kommt“. Die „Löwen“ machten junge Frauen verliebt und gewännen so psychisch Kontrolle.


Hinzu kommt: Salafisten gelingt es besonders gut, über das Internet mit Mitteln der Jugendkultur wie Rap und a capella Songs junge Menschen sehr emotional anzusprechen. Einige Jugendliche verstricken sich dabei so sehr in diese Welt, dass sie sogar bereit sind, in Kriegsgebiete zu gehen, um die Dschihadisten bei ihrem Kampf zu unterstützen. Um junge Menschen von einem solchen verhängnisvollen Weg wieder abzubringen, sei es absolut notwendig, die Eltern mit ins Boot zu holen, sagte Käsehage. Man müsse den jungen Leuten, die sich nach Syrien odern den Irak aufmachen wollen, ausreden, in ein Land zu gehben, das und dessen Sprache sie nicht kennen, zu Leuten zu gehen, die sie nicht kennen. Man müsse ihnen vor Augen führen, dass ihnen als erstes ihr Pass weggenommen werde und sie damit völlig in der Hand der Dschihadisten seien. Nina Käsehage warnte aber davor zu glauben, dass mit einem eindringlichen Gespräch das Problem gelöst sei. „Das ist ein langer Prozess, der auch der professionellen Hilfe bedarf“, sagte sie und verwies in diesem Zusammenhang auf die Präventionsnetzwerke. Gefragt nach der Rolle der Islamverbände kritisierte Käsehage, man habe die Verbände lange ausgeblendet; sie seien aber wichtige Kooperationspartner. Allerdings müssten sich die Moscheeverbände modernisieren und liberalisieren.

 

Die moderne Demokratie wird als Götzendienst abgelehnt

Käsehage beschrieb die Terrorismusstrategie der dschihadistischen Salafisten mit vier Begriffen: Provokation, Polarisierung, Mobilisierung und Nötigung. In deren Augen  sei die Demokratie der personifizierte Götzendiener; dem Staat werde die Legitimität abgesprochen, das Missionsinteresse bestehe darin, den Staat zum Reagieren zu zwingen.  Das sei für die dschihadistischen Salafisten die Bestätigung, dass man sie ernst nehme. Immer neue Anschläge sollten den Menschen Angst  machen, denn dann reagierten sie emotional und seien leicht zugänglich. Für diese Salafisten gebe es nur Gut und Böse. Deshalb seien Diskussionen sehr anstrengend; Argumente verfangen kaum noch.


In der Diskussion wurde die Rolle der Imame kritisch betrachtet. Eigentlich müssten sie Ansprechpartner für junger Muslime sein, doch oft fehle es ihnen am Verständnis für junge Leute in einer modernen Gesellschaft, wurde gesagt. Trotzdem sei es ein Fehler, auf die Kooperation mit ihnen zu verzichten. Freilich gibt es auch ein ganz simples, aber folgenschweres Problem: „Die meisten Imame verstehen kein Deutsch“, sagte der Leiter des Akademieprojekts „Islam im Plural “ und Hauptverantwortlicher der beiden Veranstaltungen, Dr. Hussein Hamdan. Er forderte darüber hinaus mehr Forschung zum Thema und mehr Geld für die Basisarbeit.


In den Workshops wurden Möglichkeiten der Prävention diskutiert. Der direkte Draht zwischen Polizei und Bürgermeister oder Landrat sei wichtig, um einen guten Überblick zur  Jugendszene sicherzustellen und bei Bedarf schnell reagieren zu können, wurde gesagt. Neue Strukturen, um den Salafismus anzugehen, wurden dagegen kritisch gesehen. Notwendig sei, die Sozialarbeit insgesamt auszubauen und den Themenkomplex Salafismus in die bestehenden Strukturen zu integrieren.  In Oberschwaben hat man sich aber entschlossen, insofern neue Wege zu gehen, als man nicht an den Landkreisgrenzen Halt macht sondern landkreis-übergreifend das Thema in die Arbeit der Kreisjugendringe integriert.  Bei der Stuttgarter Fach- und Beratungsstelle INSIDE OUT geht man mit einem neuen Konzept in die Schulen: Mithilfe eines interaktiven Spiels lässt sich darstellen, wie schnell Jugendliche verführbar sind, einer vermeintlichen Autorität zu folgen und Gewalt gegenüber anderen zu akzeptieren. Diese Erfahrungen werden dann besprochen und aufgearbeitet. (Barbara Thurner-Fromm)

 

Hier kann man weiterführende Informationen  und Hilfe erhalten:

Demokratiezentrum Baden-Württemberg
    Fachstelle Extremismusdistanzierung: www.demokratiezentrum-bw.de/angebote-beratung/extremismusdistanzierung/
    PREvent!on: www.demokratiezentrum-bw.de/angebote-beratung/prevention/
Inside Out: insideoutnow.de
Landeskriminalamt Baden Württemberg: lka.polizei-bw.de

Projektleiter Dr. Hussein Hamdan im Gespräch mit der Religionswissenschaftlerin Nina Käsehage.

Jens Ostwaldt vom Demokratiezentrum Baden-Württemberg hat ins Thema eingeführt.

Nina Käsehage bei Ihrem Vortrag

Gemeinsam aktiv bei der Prävention gegen Salafismus (von links nach rechts): Tilman Weining (INSIDE OUT), Hussein Hamdan (Akademie),Matthieu Coquelin (Fachstelle Extremismusdistanzierung) und Jens Ostwaldt (Demokratiezentrum).