Nicht alles ist messbar

Stephen Hawking war ein begnadeter Kosmologe. Doch seine Absage an einen Schöpfer wird kontrovers diskutiert. Zu Recht – wie der Vortrag von Professor Dr. Stefan Bauberger SJ zeigte.

Der Vortrag von Prof. Stefan Bauberger auf Youtube

Der Tod von Stephen Hawking am 12. März hat Menschen weltweit berührt – nicht nur, weil der Astrophysiker einer der berühmtesten Wissenschaftler war, der in einem Atemzug mit Albert Einstein genannt wird. Hawking, seit seinem 21. Lebensjahr an der lebensbedrohenden Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) leidend, galt vielen auch als Sinnbild für den geistigen Reichtum, der auch in einem schwerstbehinderten Körper Weltbewegendes erreichen kann.  

Die Veranstaltung „Stephan Hawking und der Papst“ war eine kritische Würdigung, die mit dem Oscar-preisgekrönten Spielfilm über Hawking nicht nur den Menschen in Erinnerung rief, sondern mit einem Vortrag von Professor Dr. Stefan Bauberger auch der Gedankenwelt des Naturwissenschaftlers nachspürte, die vor allem im Hinblick auf Hawkings Äußerungen zu theologisch-philosophischen Fragen ja durchaus kontrovers bewertet wird. Mit dem Jesuiten und Zen-Meister, promovierten Physiker und Professor für Naturphilosophie und Grenzfragen der Wissenschaft an der Hochschule für Philosophie in München, konnte dafür ein Referent gewonnen werden, der nicht nur Hawkings naturwissenschaftliche Theorien nachvollziehen kann, sondern auch in der theologisch-philosophischen Gedankenwelt zuhause ist.

Urknall oder Schöpfung?

In seiner Einführung erinnerte der Leiter des Fachbereichs Naturwissenschaft – Theologie, Dr. Heinz-Hermann Peitz, an Hawkings Kontroverse mit Papst Johannes Paul II., die eigentlich schon mit Georges Lemaître und Pius XII begann. Der Priester und Astrophysiker Lemaître ist der eigentliche Vater des Urknall-Modells und durfte 1951 miterleben, wie Papst Pius XII. bei einer Rede vor der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften euphorisch ausführte: „Es scheint, dass es in der Tat der modernen Wissenschaft gelungen ist, durch geniales Zurückgehen um Hunderte von Jahrmillionen irgendwie Zeuge zu sein von jenem am Uranfang stehenden Fiat lux, als die Materie ins Dasein trat und ein Meer von Licht und Strahlung aus ihr hervorbrach. … Deshalb hat sie … die Epoche bestätigt, in der der Kosmos aus der Hand des Schöpfers entstand. Deshalb gibt es eine Schöpfung, die in der Zeit stattfand, und deshalb einen Schöpfer und deshalb Gott.“ Lemaître habe das weniger gefreut, vielmehr soll er die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben – er wollte den Urknall durchaus nicht theologisch vereinnahmt wissen.

1981 hielt Hawking bei einer Kosmologie-Konferenz der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften einen Vortrag und berichtete über eine nachfolgende Audienz bei Johannes Paul II (in: Eine kurze Geschichte der Zeit. Die Suche nach der Urkraft des Universums, Seite 148) folgendermaßen: „Er sagte uns, es spreche nichts dagegen, dass wir uns mit der Entwicklung des Universums nach dem Urknall beschäftigten, wir sollten aber nicht den Versuch unternehmen, den Urknall selbst zu erforschen, denn er sei der Augenblick der Schöpfung und damit das Werk Gottes. Ich war froh, dass ihm der Gegenstand des Vortrags unbekannt war, den ich gerade auf der Konferenz gehalten hatte: die Möglichkeit, dass die Raumzeit endlich sei, aber keine Grenzen habe, was bedeuten würde, dass es keinen Anfang, keinen Augenblick der Schöpfung gibt. Ich hatte keine Lust, das Schicksal Galileis zu teilen.“ 

Es ist nicht sicher, dass der Papst es damals tatsächlich so gesagt oder gemeint hat. 1988 hielt er es für erforderlich, „daß zumindest einige Theologen sich in den Wissenschaften genügend auskennen, um authentischen und kreativen Gebrauch von den Ressourcen zu machen, welche die bestbegründeten Theorien ihnen anbieten mögen. Eine derartige Fachkenntnis würde sie davon abhalten, zu apologetischen Zwecken unkritischen und übereilten Gebrauch von solchen neueren Theorien wie dem ‚Urknall‘ in der Kosmologie zu machen.“

Gibt es neben der Naturwissenschaft eine weitere Dimension?

An diesem Punkte setzte Bauberger an und stellte die Frage, „gibt es jenseits der Naturwissenschaft eine zusätzliche, uns verborgene Dimension?“ Die Naturwissenschaft formuliere ihre Erkenntnisse in Modellen, die eine lediglich instrumentelle Perspektive auf die Wirklichkeit biete. „Die Wahrheit der Wissenschaft besteht darin, dass das Modell funktioniert“.  Allerdings machte Bauberger auch die Grenzen der Modelle am Beispiel der Masse deutlich: „Masse ist ein theoretisches Konstrukt. Als Parameter geht Masse in Rechnungen ein, aber Masse selber ist unzugänglich.“ Masse entspräche einer gewissen Realität, aber die Wissenschaft nähere sich damit der Realität nur an.

Spezifisch für die Naturwissenschaft sei dabei die Suche nach Erklärungen, die ein Ereignis auf vorausliegende Ursachen zurückführt (Hempel-Oppenheim-Schema). Eine solche Erklärung finde am Urknall insofern eine Grenze, als mit dem Urknall die Zeit selbst entstehe und es sinnlos sei, nach ‚vorausliegenden‘ Ursachen zu fragen. Die Frage, was ‚vor‘ dem Urknall gewesen ist, sei vergleichbar mit der Frage, was ‚südlicher‘ als der Südpol ist. Doch wenn es keine naturwissenschaftliche Erklärung außerhalb der Kausalität der Zeit gebe, welches Prinzip könne dann zur „Letzterklärung“ taugen, fragt Bauberger.

Für die Theologen ist Gott die Letzterklärung, die aber keinesfalls mit dem Urknall verwechselt werden dürfe. Die Schöpfungstheologie geht nicht von einer einmaligen Schöpfung am Anfang (Deismus), sondern von einer „Creatio continua“ aus, von einer fortwährenden Schöpfung; Gott ist überall und in allem, was passiert, erklärte Bauberger diese Sicht.  Ähnliche Überlegungen gebe es im Buddhismus. In der Schöpfungsgeschichte Genesis 1,31 heiße es: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut.“  Es werde damit nicht nur eine Aussage darüber getroffen, woher die Welt kommt, sondern zugleich auch die Frage beantwortet: Wie ist die Welt?

Schönheit ist nicht messbar, aber es gibt sie

Für Bauberger sprengt diese Frage eine naturwissenschaftliche Kausalität. Es komme eine weitere Dimension hinzu, denn die zweite Erklärung könne nicht auf die erste zurückgeführt werden. Bei aller Unterschiedlichkeit gäbe es jedoch auch Analogien und Brücken: Haben vielleicht die Prinzipien, die bei der Quantenkosmologie die ‚Erklärung‘ der Welt liefern, mit Platons Idee des Guten zu tun? Christlich gewendet hieße das: „Die Welt existiert aus Liebe“.

Dass sich diese Aussage nicht naturwissenschaftlich beschreiben lasse, erinnere an die Sperrigkeit unseres Bewusstseins:  „Wir können das Bewusstsein nicht chemisch-naturwissenschaftlich rekonstruieren“, argumentiert Bauberger und erläutert dies mit einem bekannten Gedankenexperiment: Eine farbenblinde Neurologin mag die Farbe Rot bis ins Kleinste wissenschaftlich erklären können – sie erlebe sie aber nicht als Rot. Ein zweites Beispiel spricht für die Überzeugung, dass die Welt mehr ist Naturwissenschaft: „Schönheit ist nicht messbar. Aber Schönheit ist real und personal, denn wir empfinden sie, aber jeder empfindet sie anders. Vielleicht ist Schönheit sogar wichtiger als das Messbare?“

(Barbara Thurner-Fromm)

Der Jesuit Professor Stefan Bauberger betrachtet die Welt naturwissenschaftlich und philosophisch.