Verleihung des Aleksandr-Men-Preises im Jahr 2005

Dr. Ernst-Jörg von Studnitz

Dankesrede

Am Anfang meiner Begegnung mit Aleksandr Men stand das Erfahren der Umstände seines Todes. Die brutale Art wie dieser wunderbare Mensch ermordet wurde, lässt ihn als wahren Nachfolger Jesu Christi erscheinen, der um seines christlichen Zeugnisses wegen umgebracht wurde. Das Evangelium nennt solche Menschen die wahren Jünger Christi. Dies ist wirklich ein Mensch gewesen, der für seinen christlichen Glauben gelebt hat und gestorben ist. Die menschlichen Lebenswege und Schicksale sind so verschieden, dass ein inhaltlich gleiches Nachfolgen auf dem Wege Aleksandr Mens von den Menschen nicht gefordert werden kann. Denn hier hat ein Mensch im vollen Bewusstsein seiner Tat ein Opfer gebracht, das von niemandem von anderen in gleicher Weise gefordert werden darf. Opfer werden frei gebracht, nicht von irgend jemandem eingefordert. Es gibt keine unfreiwilligen Opfer. Wozu ein Mensch wie Aleksandr Men aber durch seinen Lebensweg und auch Tod auffordern kann, ist zur Nachfolge in der Unbedingtheit und Klarheit in seiner Gesinnung, mit der er seinen Lebensweg gegangen ist. Darin ist er zum Vorbild für viele gerade in der heutigen Zeit geworden.
Unsere heutige Zeit dünkt sich so vollkommen und meint, keiner Vorbilder zu bedürfen. Das ist aber Ausdruck einer großen Selbstüberschätzung und Unbescheidenheit. Der Mensch kann den Maßstab für sein Handeln nicht aus sich selbst gewinnen. Ein solcher Maßstab wäre egoistisch und könnte für andere Menschen nicht verbindlich sein. Durch sein festes verankert Sein im christlichen Glauben hat Aleksandr Men seinen Bezugspunkt in Jesus Christus gefunden und hat diese seine Erfahrung an alle die Menschen weitergegeben, die sich ihm – auch nach seinem Tode – angeschlossen haben.
Im Blick auf das Leben und Wirken von Aleksandr Men und auch auf seinen Tod haben zahllose Menschen sich an den Kraftquell des Christentums anschließen können, aus dem auch er gelebt und gewirkt hat. […]
In vielen Gesprächen ist mir bewusst geworden, wie stark die Bande zwischen Deutschen und Russen sind. Beim Suchen nach den Wurzeln dieser Gemeinsamkeit stieß ich auf die große Verehrung der beiden Völker für die Kultur des jeweils anderen Volkes. Wie stark ist das deutsche Geistesleben des 19. und 20. Jahrhunderts durch die großen russischen Schriftsteller,DichterundMusikerbeeinflusst worden. Und welche Verehrung erfahren in Russland die deutschen Philosophen, Dichter, Musiker und Wissenschaftler! Es ist zutiefst befriedigend, dass diese kulturelle Achtung füreinander selbst durch den 2. Weltkrieg nicht zerstört worden ist. Das war in meiner Zeit als Botschafter und ist heute bei meiner Tätigkeit für das Deutsch-Russische Forum ein ständiger Ansporn, dazu beizutragen, die kulturellen Bande zwischen unseren Völkern noch immer weiter zu verdichten.
Ich bin der Auffassung, dass die Pflege der kulturellen Begegnung auf allen Ebenen langfristig sogar von noch größerer Bedeutung ist als die spektakulären Staatsaktionen, deren Wirkung oft schnell dahinschwindet.
Ich habe mit großer Genugtuung wahrgenommen, dass die Führer unserer beiden Länder dies sehr wohl verstanden haben und daher in den Jahren 2003–2004 in großem Umfang die jeweils eigene Kultur im anderen Lande vorgestellt haben. Ich bin überzeugt, dass die dort gesäte Saat reiche Frucht bringen wird.
Dies bringt mich zu einem anderen Bindeglied zwischen Deutschen und Russen, dessen Wert mir immer bewusst war und das zu stärken und zu pflegen mir bis zum heutigen Tage ein wichtiges Anliegen ist. Ich meine die Kontakte zwischen jungen Menschen beider Völker.
Es ist für unsere beiden Völker ein großes Glück, dass mit dem Ende der Sowjetherrschaft vielfältige Kontakte gerade unter Jugendlichen möglich geworden sind.
Ich selbst habe als Austauschstudent in Amerika erfahren, wie stark man als junger Mensch durch einen Aufenthalt im Ausland bereichert wird. Man spürt am eigenen Leibe, dass man viele Dinge anders sehen und machen kann und dass die Lösungen von Problemen, die in fremden Ländern gefunden werden, gelegentlich auch besser sind als das, was man bei sich gelernt hat. Der Impuls, in der Fremde Gelerntes als Anregung mit nach Hause zu nehmen, führt zu kulturellem Austausch und zur Bereicherung. Es war für mich eine große Freude, dass die deutsche Wirtschaft in Russland auf meine Initiative, für junge Russen einen Stipendienfonds zu schaffen so positiv reagiert hat. Mit diesem Fonds ist es seit 1997 gelungen einige hundert Studenten zu einem Studienaufenthalt kombiniert mit einem sehr begehrten betrieblichen Praktikum für ein ganzes Jahr nach Deutschland zu bringen. […]
Alles, was ich geschildert habe, hat auch mit Aleksandr Men zu tun, dessen heute durch diese Veranstaltung gedacht wird. Im Zentrum seines Wirkens stand der Mensch. Das war für ihn auf Grund des Schicksalszusammenhangs, in den er in Rußland hineingeboren wurde, der russische Mensch in der Zeit der Sowjetunion. Es war eine Zeit, in der der einzelne nichts galt.
Aleksandr Men wusste aber, dass es gerade auf den einzelnen Menschen ankam. Deshalb wandte er sich dem einzelnen zu und gab ihm innere Kraft, den Herausforderungen des Lebens mutig entgegenzutreten.
Dass diese Ermutigung des einzelnen von den in Russland herrschenden Mächten als Herausforderung empfunden wurde, wusste er. Er wusste aber auch, dass er sich treu bleiben wollte und deshalb seinen Weg unbeirrt bis zu seinem gewaltsamen Tode weiterging. Diese Achtung jedes einzelnen Menschen, sei er hoch oder gering, und die Hilfe für diejenigen, die ihrer bedürfen, ist das Vermächtnis, das Aleksandr Men uns allen übergeben hat. Wenn wir danach streben, in dem Geiste, der auch Aleksandr Men geleitet hat, das Wohl des Menschen zum Inhalt und Ziel unseres Erdenwirkens zu machen, so tragen wir alle, jeder an seinem Platz im Leben, dazu bei, unserer Erde ein friedvolleres und menschenwürdigeres Antlitz zu geben.


Es gilt das gesprochene Wort!

Programm

Begrüßung
Dr. Ekaterina Genieva
Generaldirektorin der Allrussischen Staatlichen Bibliothek für ausländische Literatur Moskau (Rudomino)

 

Grußwort
Sergej Netschajew
Stellvertretender Direktor des Dritten Europäischen Departements, Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der Russischen Föderation


Grußwort
Walter Jürgen Schmid,
Deutscher Botschafter in Moskau


Grußwort
Dr. Abraham Peter Kustermann
Akademiedirektor, Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart


Grußwort
Dr. Alexej Michejew
Chefredakteur der Zeitschrift „Inostrannaja literatura“


Grußwort
Rev. Viktor Grigorenko
Alexander-Men-Stiftung

 

Laudatio
Alexandra Gräfin Lambsdorff
Vorsitzende des Kuratoriums der Quistorp-Stiftung, Schatzmeisterin des Deutsch-Russischen Forums e.V.

 

Laudatio
Dr. Prof. Ewgenij Jassin
Wissenschaftlicher Betreuer der Staatsuniversität – Hochschule für Wirtschaftswissenschaft

 

Dankesworte
Dr. Ernst-Jörg von Studnitz
Botschafter der BRD in der Russischen Föderation von 1995 bis 2002), Vorstandsvorsitzender des Deutsch-Russischen Forums e.V.

Kurzbiografie des Preisträgers


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