Verleihung des Aleksandr-Men-Preises im Jahr 1997

Prof. Dr. Wolfgang Kasack

Grußwort

Bischof Dr. Walter Kasper

"Dass Russland im Geiste von Freiheit und Gerechtigkeit, der christlichen Toleranz und Menschlichkeit genesen möge, darauf richtete sich die Hoffnung von Aleksandr Men für die Zukunft seiner Heimat.

Diese Zukunft für Russland hat schon begonnen. Für ihre Gestaltung ist die Zusammenarbeit vieler Kräfte notwendig; auch und besonders der Kulturschaffenden, deren internationale Kommunikation durch den Aleksandr-Men-Preis unterstützt und honoriert werden soll.

Wie wichtig die Begegnung der in Kirche und Gesellschaft von verschiedenen Kulturen geprägten Menschen ist, davon konnte ich mich erst wieder im Juni dieses Jahres bei einer ausgedehnten Reise durch die russische Föderation überzeugen, die ich in meiner Eigenschaft als Vorsitzender der Kommission für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz unternahm.

 

Verwüstung durch ein atheistisches, menschenverachtendes System

Überall wurden wir außerordentlich gastfreundlich empfangen. Und überall konnte ich – bei aller Not, die vorhanden ist – auch hoffnungsvolle Aufbrüche kennen lernen. Aber es bleibt noch viel zu tun.

Tief erschüttert hat mich vor allem der erbarmungswürdige Zustand vieler russisch-orthodoxer Kirchen. Die atheistische Religionspolitik des Sowjetsystems hat die Gotteshäuser zu Fabriken und Lagerhallen umfunktioniert. Die Ikonen wurden von den Wänden geschlagen, die Kirchenräume verfielen, und die gläubigen Menschen wurden schikaniert – bis hin zur schweren Verfolgung. Die geschlagenen Wunden werden noch lange Zeit der Heilung bedürfen.

Aber die äußere Verwüstung durch das atheistische System hat bei vielen Menschen eine innere seelische Verwüstung hinterlassen, die jetzt in der Zeit der neuen Freiheit zum Ausbruch kommt. Desorientierung und Verlust von Werten, Kriminalität, soziale Kälte und reinstes Profitstreben bedrohen das Zusammenleben der Menschen. Jetzt zeigt sich die Wahrheit des Wortes des großen russischen Dichters: "Wenn Gott tot ist, ist alles erlaubt!"

 

Die notwendige Erneuerung der Kirche, die Schwierigkeit einer solchen Erneuerung und die Widerstände dagegen, vor allem durch restaurative und nationalistische Tendenzen.

Umso erfreulicher war es für mich, auch ermutigende Zeichen der Hoffnung zu entdecken. Um ihrer Verantwortung zur Verwirklichung von Gerechtigkeit und Nächstenliebe gerecht zu werden, bedarf es in den Kirchen größter Anstrengungen.

Erste, beeindruckende Neuanfänge von sozialer Gemeindearbeit in den verschwindend kleinen katholischen Gemeinden wollen wir durch unser Hilfswerk Renovabis mit Rat und Tat unterstützen. Ebenso unterstützen wir ähnlich hoffnungsvolle Aufbrüche in Bildungs- und Sozialprogrammen in vielen russisch-orthodoxen Gemeinden, von denen ich einige während meiner Reise kennenlernen konnte.

zusammen mit der Arbeit an der Ökumene der Kulturen unterstützen wir eine wirkliche Ökumene der Kirchen und sind bereit, dafür das uns Mögliche zu tun. Aleksandr Men kann für alle Dialogpartner eine Symbolfigur des wahren Ökumenismus sein. Auch eine Symbolfigur gegen restaurative und nationalistische Tendenzen, die leider auch zu spüren sind.

Wir im Westen Europas sind im zwischenkirchlichen und interkulturellen Dialog gewiss nicht nur Gebende, sondern auch Empfangende. Von der tiefen Frömmigkeit vieler russischer Menschen, von ihrer aus dem christlichen Glauben stammenden Zuversicht und von ihrer beeindruckenden Freude an der Liturgie können und sollten sich die Christen in Westeuropa anstecken lassen.

Aus eigener Kenntnis bedeutender russischer Theologen weiß ich, dass auch hier in vielen Bereichen ein gegenseitiges Lernen und die gemeinsame Vertiefung des Glaubens möglich ist. Ich bin überzeugt, dass die Begegnung mit der Person und dem Werk von Erzpriester Aleksandr Men für unsere Kirche in Deutschland und Westeuropa eine große Bereicherung darstellt. Leider sind seine Werke noch nicht ins Deutsche übersetzt.

Es bedarf des Gesprächs mit den Intellektuellen sowie der Wahrnehmung der sozialen Verantwortung der Kirche.

In Gesprächen mit Intellektuellen und Politikern in Moskau konnte ich ein großes Interesse am Engagement der katholischen und der evangelischen Kirchen im Interesse der sozialen und kulturellen Entwicklung Russlands erkennen. Beide verkörpern nach Meinung meiner russischen Gesprächspartner Werte, die für die Weiterentwicklung Russlands dringend benötigt werden. Sie sind daran interessiert, dass die Kirchen ihre soziale und kulturelle Verantwortung wahrnehmen und aktiv an der Gestaltung einer gerechten Gesellschaft mitwirken. Unsere russisch-orthodoxe Schwesterkirche darf darauf vertrauen, dass die Hilfe, die wir hierzu geben, uneigennützig geleistet wird und selbstverständlich keine Abwerbung russisch-orthodoxer Christen zum Ziel hat, wie manche dies befürchten.

Ich bin mir sicher, dass die von beiden Seiten unternommenen Anstrengungen im interkulturellen, ökumenischen wie auch im sozialen Bereich ganz im Sinne von Aleksandr Men sind, der – wie ich weiß – ein Anwalt der armen Menschen war. Die religiöse Vertiefung, die soziale Entwicklung und die kulturelle Bildung lagen Aleksandr Men gleichermaßen am Herzen.

Zu Recht gibt dieser Geistliche seinen Namen für die Preisverleihung an einen Gelehrten und Kulturschaffenden, der Aleksandr Men selbst persönlich gekannt hat. Ich beglückwünsche Prof. Kasack zur Verleihung des Preises und danke ihm im Namen der katholischen Kirche für seine herausragenden Verdienste um die Ökumene der Kulturen Russlands und Deutschland. Möge der Aleksandr-Men-Preis der Vertiefung der kulturellen und religiösen Beziehungen unserer beiden Länder dienen."


Es gilt das gesprochene Wort!

 

Programm

Grußwort
Erwin Teufel,
Ministerpräsident

Grußwort
Bischof Dr. Walter Kasper,
Rottenburg-Stuttgart

Grußwort
Dr. Ekateria U. Genieva,
Moskau

Grußwort
Dr. Gregorü Tchartischvili,
Moskau

Laudatio
Dr. Friedrich Ruth,
Botschafter a.D., Bann

Preisverleihung
Prof. Dr. Günter Bien,
Stuttgart

Dankesworte
Wolfgang Kasack

Artikel Katholische Nachrichten-Agentur

Urkunde von Prof. Dr. Wolfgang Kasack


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