Verleihung des Aleksandr-Men-Preises im Jahr 1996

Lew Kopelew

Grußwort

Bundespräsident Roman Herzog

 "Ich will ganz ehrlich sein. Bevor mich die Einladung zum heutigen Tag erreichte, hatte ich den Namen Aleksandr Men noch nicht gehört. So wie mir wird es wohl den meisten bei uns im Lande gehen. Natürlich nicht in diesem Kreis.

Was ich aber dann über Aleksandr Men las und hörte, hat mich davon überzeugt, dass es richtig war, einen Preis für interkulturelle Vermittlung zwischen Russland und Deutschland nach ihm zu benennen. in der Tat ist es nur möglich, ein europäisches Haus zu bauen, wenn es Menschen wie Aleksandr Men gibt, die weitsichtig und gelehrt zwischen den Kulturen vermitteln. Besonders um sein Andenken zu ehren, bin ich heute hierher gekommen.

Was mir beim Gedenken an ihn wichtig erscheint, das ist nicht nur seine allseits bewunderte Gelehrsamkeit und seine intellektuelle Kraft. Vielmehr ist es seine unbestechliche Haltung, die Haltung eines Wahrheitssuchers, die freilich an vielen Stellen Anstoß erregte. Die Leidenschaft, die Wahrheit zu suchen, die Bereitschaft auch, dem anderen wirklich zuzuhören, und schließlich die Zuwendung zu den konkreten Nöten einzelner Menschen: Das zeichnet ihn aus.

In jeder Gesellschaft – nicht nur in Russland – werden Menschen wie Aleksandr Men gebraucht. Aber sie würden wohl überall auch auf Feindschaft und Hass treffen. Denn, machen wir uns nichts vor: Vermittlung zwischen Kulturen – das hört sich oft so harmlos an. Es klingt nach akademischen Seminaren und angenehmen Gesprächen am runden Tisch. Im Falle Aleksandr Mens ist aber deutlich geworden, dass es nicht immer so freundlich zugeht. Er ist angefeindet worden, nicht allein wegen seines Glaubens, nicht nur wegen seiner Jüdischen Herkunft, sondern vor allem wegen seiner freimütigen Opposition gegen jeden Fundamentalismus und wegen seines Werbens für Toleranz und Verständnis. Das hat ihn zuletzt das Leben gekostet.

Der Namensgeber gibt dem Preis, der hierverliehen wird, besondere Bedeutung. Er zeigt an, dass die Vermittlung zwischen Denkweisen, Kulturen und Glaubensüberzeugungen eine riskante Sache sein kann. Wer sich auf Vermittlung wirklich einlässt, wird oft angefeindet – meist zuerst im eigenen Lager. Wer übersetzen will, gerät schnell in den Verdacht, ein Verräter zu sein. Das gilt auch für die Biographie des Mannes, der heute hier mit dem Aleksandr-Men-Preis ausgezeichnet wird. Lew Kopelew hat am eigenen Leib erfahren, wie schnell die Suche nach Verständigung als Verrat denunziert wird. Er ist dennoch unbeirrt seinen Weg gegangen und wird zu Recht gerade mit diesem Preis ausgezeichnet. Auch bei ihm überzeugt sein literarisches Werk nicht weniger als seine Haltung und seine Existenz.

Meine Damen und Herren, gerade die Tatsache, dass eine Gestalt wie Aleksandr Men in Deutschland fast unbekannt ist, zeigt, wie viel noch zu tun ist im kulturellen Austausch mit Russland. Mir scheint, dass für viele deutsche Intellektuelle und Künstler das gegenwärtige Russland erst noch entdeckt werden muss. Ich freue mich sehr, dass mit der Initiative dieser Preisstiftung ein wesentlicher Beitrag dazu geleistet wird.

Unersetzbar für den kulturellen Austausch sind persönliche Begegnungen. Deswegen bin ich dankbar dafür, dass heute illustre Gäste aus Russland gekommen sind. Sie alle schätzen das Werk und die Person von Aleksandr Men, waren seine Freunde oder Mitarbeiter. Sie alle kennen auch sein Wort: "Das Eigene lieben bedeutet nicht, das Fremde zu hassen." Das ist zwar eine ganz schlichte Sentenz. Aber sie ist noch längst nicht in allen Köpfen angekommen, und sie ist noch längst nicht überall Wirklichkeit geworden. Deswegen möchte ich Sie alle herzlich bitten: Arbeiten Sie weiter im Geist von Aleksandr Men für ein tolerantes, offenes und menschliches europäisches Haus."

Programm

Grußwort
Roman Herzog,
Bundespräsident

Grußwort
Ekateria U. Genieva,
Moskau

Grußwort
Alexei Slovesnyi,
Moskau

Laudatio
Fritz Pleitgen,
Köln

Preisverleihung
Prof. Dr. Günter Bien,
Stuttgart

Dankesworte
Lew Kopelew

Artikel Südwest Presse

Biografie des Preisträgers

Buchpublikationen in der BRD

Weitere Informationen über Lew Kopelew auf Wikipedia